psychologischer krieg

Kohr schrieb in Amerika gegen Hitler auf breiter Front an:

„Schon in dem Buch `Mein Kampf` hat er uns ein Bild von seinem einfachen Seelenleben gegeben. Die Tragödie ist, dass dieser Bestseller nie richtig gelesen wurde. Nach zehn Seiten weiß man alles über den Autor. Nach 50 Seiten kennt man alle Argumente der Nazipartei. Wer Hitlers Leben kennt und sein mies geschriebenes Buch liest, der hätte seine Absichten seit den frühesten Jahren erkennen können.“

Leopold Kohr in der „Los Angeles Times“, 8. Februar 1942

Kohr berichtete und analysierte in führenden Zeitungen der USA und Kanadas, bediente auch kleinere Blätter und regionale Medien mit Hintergründen aus Europa. Das Image Österreichs war auf einem Tiefstpunkt angelangt, und Kohr wollte dem entgegenwirken. In den USA schätzte man Österreichs Bevölkerung mehrheitlich als fanatische Nazis ein. Die Haltung der Alliierten bekamen besonders jene Gegner der Nazis in Österreich hart zu spüren, die gehofft hatten, in Großbritannien, Frankreich oder den USA Schutz und Asyl zu finden.

Österreichische Flüchtlinge wurden besonders in Übersee wie Menschen zweiter Klasse behandelt, wenn nicht gar als Sympathisanten oder Spione Nazideutschlands gesehen. Emigranten und Flüchtlinge aus Polen oder der Tschechoslowakei waren im Westen dagegen schnell als Verbündete anerkannt. Ursprünglich planten die Alliierten sogar, Österreich solle nach dem Sieg über Hitler eine Provinz des besiegten Deutschlands werden. In diesem Szenario begannen Leopold Kohr und sein väterlicher Förderer und Freund Egon Ranshofen-Wertheimer in den USA und Kanada mit ihren Wellen von Zeitungsberichten, Leitartikeln und Leserbriefen. Sie wollten damit Österreichs staatliche Unabhängigkeit und sein kulturelles Erbe in Übersee propagieren. Ranshofen-Wertheimer, einst Diplomat des gescheiterten Völkerbundes, arbeitete nun in Washington DC als Berater der US-Regierung. Er kannte Chefredakteure und Herausgeber vieler Zeitungen. So begann sein Schützling Kohr nach und nach für „New York Times“, „Washington Post“, „Los Angeles Times“ und andere zu schreiben.

Kohr forderte in seinen Artikeln, die Vereinigten Staaten dürften den Anschluss Österreichs an Deutschland keinesfalls diplomatisch anerkennen. Er betonte, nur 25 Prozent der Österreicher seien Nazis. Die anderen würden schweigen, weil schon die Austrofaschisten der katholischen Dollfuß-Regierung dem Volk große Angst gemacht hätten. Ein großer Erfolg gelang dem 32-jährigen Kohr am 6. Jänner 1942. An diesem Tag erschien sein erster Artikel in der „Washington Post“. Herausgeber und Chefredakteur Eugene Mayer hatte zur Schützenhilfe noch einen Leitartikel verfasst, in dem er die Regierung der USA aufforderte, Österreich nicht weiter im Stich zu lassen. Kohr schilderte die Gewissenskonflikte österreichischer Flüchtlinge, die von US-Bürokraten wie deutsche Feinde behandelt würden. Wenngleich Österreicher in den USA noch unfähig wären zur Bildung einer Exilregierung, sollte die Regierung in Washington endlich anerkennen, dass Österreich ein Opfer der Nazis sei und kein Feind der Alliierten. Man kann davon ausgehen, dass Blätter wie die „Washington Post“ ihren Einfluss auf das Weiße Haus hatten, damals wie heute. Klar ist, dass Kohr und sein Mentor Egon Ranshofen-Wertheimer großen propagandistischen Druck machten, um Stimmung für das kleine – von allen guten Geistern verlassene – Österreich zu machen. Es war Teil ihrer Strategie, dabei manche historische Wahrheit über kulturelle und politische Rückständigkeit, latenten Rassenwahn und Hang zum Nationalsozialismus in der österreichischen Bevölkerung unter den Teppich zu kehren.

Meine Gespräche mit Kohr zeigten, dass er noch im hohen Alter von dieser schönfärberischen Österreich-Ideologie überzeugt war. Er hatte teilweise auch Recht, denn es gab 1938 durchaus viele Bürger, die Hitlers „Anschluss“ betrauerten. Am 14. Juni 1945 veröffentlichte Kohr in der „Washington Post“ einen harten Artikel gegen die Vorgangsweise der alliierten Befreier. Er nahm die Aufteilung Österreichs in vier „Besatzungszonen“ ins Visier. Bei Deutschlands wäre das verständlich, schrieb Kohr. Nur so könne man Preußen, Bayern und andere Gebiete zu neuen Strukturen führen. Für das kleine Österreich hingegen sei diese Aufteilung zerstörerisch, kritisierte Kohr und warnte vor einer Abtrennung der sowjetischen Einflusszone mit der Hauptstadt Wien. Ohne Wien gebe es keine Zukunft für Österreich. In fast jedem anderen Land könne man die Hauptstadt verlegen, schrieb er; nicht in Österreich:

„In den Gebirgstälern Salzburgs, Tirols, Kärntens und der Steiermark weht nämlich ein ganz anderer Wind als in Wien. Die Bevölkerung ist dort konservativ und bodenständig. Falls Wien für Österreich verloren geht, dann würde automatisch München zu einer neuen Hauptstadt. Das wäre ein großer Fehler. Eine Voraussetzung für Frieden in Europa ist, dass Österreich frei ist. Es darf keinesfalls mehr mit Deutschland verbunden sein.“

Kohr zeichnete in der „Washington Post“ ein äußerst positives Bild Österreichs und forderte den Abzug der alliierten Truppen. Bei Sozialdemokraten und Christlichsozialen gebe es genug Leute für einer Demokratie. Von seinen Idealvorstellungen geleitet, verstieg sich Kohr in dem Artikel zu Thesen, die kaum Bezug zur Wirklichkeit hatten: Seiner Ansicht nach wären Naziführer und Kriegsverbrecher in Österreich auch ohne alliierte Intervention und Mithilfe bestraft worden. Angesichts der realen Strategien österreichischer Parteien nach dem Krieg, ihres Buhlens um die Stimmen der Nazis und der tatkräftigen Mithilfe vieler Österreicher bei Völkermord und Kriegsverbrechen, ist Kohrs Einschätzung heute überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Nur sehr wenige NS-Täter wurden in Österreich je vor Gericht gestellt, nach 1950 die meisten freigesprochen. Vielleicht wollte er seinen alten Traum als Flüchtling nicht zerstören. Seit Kohr 1938 ins Exil gegangen war, war er davon überzeugt, seine Heimat sei Opfer des Nationalsozialismus und keine Brutstätte des braunen Verbrechertums gewesen. Dieser Glaube motivierte ihn im publizistischen Kampf gegen Hitlerdeutschland, der lange völlig aussichtslos zu sein schien. Kohr wies zu Recht immer wieder auf die Westmächte im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges hin, die tatenlos dem Treiben Deutschlands, der Besetzung der Tschechoslowakei und dem „Anschluss“ Österreichs zugesehen hätten.

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Das Buch ist im Frühling 2014 im Verlag Edition Tandem (Salzburg) erschienen.

Lehner, Gerald: Das menschliche Maß. Eine Utopie? Gespräche mit Leopold Kohr über sein Leben. Verlag Edition Tandem. Salzburg 2014. ISBN 978 – 3 – 902932 – 01 – 3

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