Dieser Oberösterreicher war Kohrs wichtigster Mentor und Förderer.
Seine Rolle in der internationalen und amerikanischen Politik wurde erst ab 1994 in Europa und Österreich wieder bekannt, durch Recherchen zu diesem Buch in den USA. Einflussreicher auf die Weltordnung und persönlich egensätzlicher könnten zwei Männer aus einer einzigen Kleinstadt nicht sein. Der eine ließ Millionen Menschen ermorden, Europa brandschatzen und systematisch mit Kriegsverbrechen überziehen. Im Gegensatz zu Adolf Hitler wurde der andere Braunauer von Österreich vergessen: Egon Ranshofen-Wertheimer bekämpfte früh den Nationalsozialismus und beriet die Regierung der USA im Kampf gegen Hitler. 1945 wirkte er in San Francisco an der Gründung der UNO für einen neuen Frieden mit – nachdem der andere Abkömmling der alten Heimat, Adolf Hitler, die halbe Welt in den Abgrund „geführt“ hatte.
Werdegang
Egon Ranshofen-Wertheimer maturierte 1912 am Akademischen Gymnasium in Salzburg. Der Braunauer war Diplomat des Völkerbundes in Genf, ging 1940 ins Exil nach Amerika. Er beriet die Regierung der USA im Kampf gegen Hitler. Mit dem Salzburger Leopold Kohr schrieb er in US-Zeitungen gegen die Nazis. Er war auch Wegbereiter für die Gründung der UNO. Egon Ranshofen-Wertheimer wusste viele Details über Phänomenologie, Entstehungs- und Kriminalgeschichte des Nationalsozialismus in Österreich und Bayern. Der Innviertler entwarf lange vor Kriegsende in den USA strategische Pläne für Wiederaufbau und wirtschaftliche Hilfe, um Europas neue Demokratien zu fördern. Er war Hochkommissar und Diplomat der UNO. Österreich verdankt seiner Hilfe die rasche Aufnahme bei den Vereinten Nationen im Jahr 1955. „The International Secretariat – A Great Experiment in International Administration“ ist sein wichtigstes Buch – 1945 in Washington DC erschienen, noch bevor am 25. April 1945 in San Francisco die Gründungsversammlung der UNO begann. Ranshofen-Wertheimer analysierte kritisch den Aufbau und das Scheitern des Völkerbundes als Lehre für die UNO. Mit seinem jüngeren Kollegen Leopold Kohr aus Oberndorf bei Salzburg, der als Philosoph und Ökonom bekannt wurde, entfachte Ranshofen-Wertheimer bis 1945 ein journalistisches Trommelfeuer gegen die Nazis – unter anderem in der „New York Times“.
In memoriam: Eigener Asteroid seit 2008
Österreichs politisches Establishment hat Ranshofen-Wertheimer verdrängt, verschwiegen und vergessen. Der Wandel kam erst lange nach seinem Tod durch Recherchen zu diesem Buch: Die Stadt Braunau ehrt seit 2007 verdiente Auslandsösterreicher mit dem neuen Ranshofen-Wertheimer-Preis. Der Astrophysiker Freimut Börngen aus Jena (Thüringen) veranlasste auf meine Anregung, dass 2008 ein Asteroid auf den Namen „Wertheimer“ getauft wurde – in Abstimmung mit dem Weltverband der Astronomen, NASA und der russischen Weltraumbehörde.
Noch kaum aufgearbeitet sind die Enteignungen bzw. „Arisierungen“ von Grund und Boden, die bei der Errichtung der nahen Aluminium-Werke im Braunauer Stadtteil Ranshofen durch die Nazis durchgezogen wurden. Davon betroffen sind weiterhin die Nachkommen und Verwandten der Familie Wertheimer. Von dieser selbst lebt heute niemand mehr. Schon vor Kriegsende gehörte Ranshofen-Wertheimer zu jenen Diplomaten, die im Auftrag der amerikanischen Regierung die Gründung der Vereinten Nationen (UNO) vorbereiteten. Die UNO wurde dann am 26. Juni 1945 in San Francisco offiziell gegründet. Während des Krieges hatte Ranshofen-Wertheimer in Washington als Berater für das Außenministerium der USA und für das Weiße Haus gearbeitet. Sein Wissen schöpfte er aus Studien der Fächer Staatswissenschaft, Rechtskunde und Geschichte, die er nach Aufenthalten in Wien, München und Heidelberg als 26-Jähriger mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Als frischgebackener Akademiker verbrachte Ranshofen-Wertheimer dann drei Jahre als Zeitungsredakteur und Reporter in Hamburg. Danach war er knapp zehn Jahre als Diplomat des Völkerbundes tätig. Ab 1940 betreute er im amerikanischen Exil mehrere Forschungsprojekte der Carnegie-Friedensstiftung.
In Washington DC sorgte der Innviertler dafür, dass Leopold Kohr ebenfalls einen Job bei der Carnegie-Stiftung erhielt. Später nützte Ranshofen-Wertheimer seine Beziehungen zu Chefredakteuren einflussreicher Zeitungen. So konnte Kohr für die „Österreich-Frei-Bewegung“ zahlreiche Artikel verfassen, um für die Befreiung der alten Heimat zu werben. Ranshofen-Wertheimer verfasste im Auftrag der US-Regierung eine Studie, die für die Zukunft Europas von fundamentaler Bedeutung war: „Victory is not enough“ diente für die Zeit nach Kriegsende als wissenschaftliche Grundlage, um Demokratisierung und Wiederaufbau in Europa voranzutreiben; auch der Marshall-Plan wurzelt zum Teil in diesen Arbeiten.
Am 18. Juli 1943 publizierte die „Washington Post“ eine Rezension dieser Studie. Autor war Leopold Kohr. Schlagzeile: „Peacemaker‘s Manual“. Kohr betonte, wie bemerkenswert es sei, dass Wertheimer und Hitler in der gleichen Stadt Braunau zur Welt gekommen sind. Zwei so verschiedene Männer. Der eine zerstöre die Völker Europas. Und der andere mache sich Gedanken, wie man geknechteten Menschen für die Zukunft helfen könnte. Wenn Staatsmänner neuen Frieden wollten, dann müssten sie verstärkt auf die alten Künste der Diplomatie setzen, schrieb Kohr. Heute würden Diplomaten vorwiegend als Berater eingesetzt. Erfolge wie der Wiener Kongress von 1814/15 seien nur möglich, wenn Diplomaten selbst hart verhandeln dürften. Ohne direktes Eingreifen von Politikern bzw. Monarchen. Es gehe in Wertheimers „Victory is not enough“ auch um die Tragödie des Völkerbundes, der nicht zuletzt am Zögern Englands und Frankreichs gescheitert sei. Man habe Hitler viel zu lange zugeschaut, schrieb Kohr in seiner Rezension von Wertheimers Studie.
Marshall-Plan und Wiederaufbau
Egon Ranshofen-Wertheimer arbeitete im Exil der USA hauptberuflich als Professor der American University und betreute die Carnegie-Friedensstiftung. In diesen Funktionen beriet er auch die US-Regierung während des Zweiten Weltkrieges. Wie Leopold Kohr verfügte er über ein ein großes Wissen zur jüngeren Geschichte und zu den politischen Strukturen Europas. Zudem war er Experte für Hitlers Heimatregion Oberösterreich. Ranshofen-Wertheimers Buch „The International Secretariat“ gilt unter Fachleuten als Grundlagenarbeit für den Aufbau der Vereinten Nationen: Er analysierte dafür mit sehr kritischem Blick das Scheitern des Völkerbundes. Zwar seien die Großmächte bereit, die wirksamen Strukturen des Völkerbundes für die UNO zu übernehmen, würden jedoch die Auseinandersetzung mit den Fehlern der alten Weltorganisation scheuen, schrieb er. Ranshofen-Wertheimer hatte zehn Jahre des Völkerbundes (von 1930 bis 1940) hautnah miterlebt und Dokumente verarbeitet, die nur wenigen zugänglich waren. Es gibt Hinweise, dass er nach Kriegsende auch an der Schaffung des „Marshall-Planes“ für den Wiederaufbau Europas beteiligt war. Egon Ranshofen-Wertheimer verstarb 1957 auf dem Flughafen von New York nach einer Herzattacke. Er hatte bis zuletzt immer wieder großes Heimweh nach seiner alten Heimat Braunau am Inn.
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Das Buch ist im Frühling 2014 im Verlag Edition Tandem (Salzburg) erschienen.
Lehner, Gerald: Das menschliche Maß. Eine Utopie? Gespräche mit Leopold Kohr über sein Leben. Verlag Edition Tandem. Salzburg 2014. ISBN 978 – 3 – 902932 – 01 – 3