„small is beautiful“

Ein Slogan geht um die Welt

„Sein Freund Fritz Schumacher hat Kohrs Gedanken über „Small is beautiful“ zum Buchtitel und populistischen Schlagwort gemacht, wobei die Gefahr nicht auszuschließen war, dass die vermeintlich glatte Putzigkeit des Slogans der Ernsthaftigkeit des dahinter waltenden Gedankenwerks im Wege stand.“

Das schrieb der Journalist Hermann Unterstöger in seinem Nachruf zum Tod von Leopold Kohr, der am 28. Februar 1994 in der „Süddeutschen Zeitung“ (München) erschien. Damit brachte er ein Phänomen auf den Punkt, das Kohr lebenslang verfolgte, und wogegen er sich nicht ausreichend zur Wehr setzte, vielleicht auch aus Gründen der Eitelkeit. Wer über Kohr spricht, sieht schnell nickende Köpfe und scheinbare Zustimmung, wenn von „Small is beautiful“ die Rede ist. Den Satz kennen viele und finden ihn toll, auch wenn kaum Wissen darüber vorhanden ist, was Anarchismus bedeutet, und was hinter Kohrs Philosophie steckt. „Zerstückelt die Großmächte!“ Das klingt schon anders, so gar nicht kuschelig. Kohr wurde über Jahrzehnte in Übersee und Europa von Journalisten und Wissenschaftern, von Befürwortern, Gegnern und Gleichgültigen auf „Small is beautiful“ reduziert.

Die Öffentlichkeit brannte ihm den Slogan auf den Pelz. Er wurde ihn nicht mehr los. Dabei war der Spruch nicht einmal Kohrs Erfindung sondern Titel eines Buches von Fritz Schumacher, der Kohr als seinen „wichtigsten Lehrmeister“ verehrte. Der Verlag „Bond & Briggs Ltd.“ in London suchte 1973 einen reißerischen Titel für ein neues Buch, weil der Vorschlag des Autors Schumacher zu bürokratisch klang: „The Guide For Intermediate Technology“, eine Anleitung für sanfte und angepasste Technologie, die sich am menschlichen Maß orientiert.

Wie war Schumacher überhaupt auf Kohr gekommen? Bei einer Party im Haus des britischen Anarchisten und Verlegers John Papworth lernte er ihn Anfang der 1960er-Jahre kennen. Fritz Schumacher war ein deutscher Ökonom, der seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Großbritannien lebte. Der Berliner arbeitete auch als Journalist. Hauptberuflich war er Manager im Dachverband des britischen Kohlebergbaues. Schumacher war in jungen Jahren ein radikaler Atheist und Kommunist, ehe er zu tiefer Spiritualität und Religiosität kam und auch der östlichen Esoterik verfiel. Unter dem Einfluss des armenischen Mystikers George J. Gurdjieff studierte er Urchristliches, tibetischen Buddhismus und Traditionen Indiens. Utopien, wie die von Kohr, fielen bei Schumacher auf besonders fruchtbaren Boden. Mit der gleichen Inbrunst, mit der er sich als junger Mann für den zentralistischen Marxismus eingesetzt hatte, propagierte Schumacher nun Kohrs Werk, der genau das Gegenteil der Marxisten vertrat: Schluss mit Gigantomanie! Ausgehend von diesem Ansatz, wonach fortschreitende „Rationalisierung“ der Großindustrie immer neues Elend für die Menschheit erzeuge, versuchte Schumacher, die Thesen des Salzburgers auf die Füße zu stellen und praktische Vorschläge für Wirtschaft und Technik zu machen. Entgegen der Propaganda von Regierungen und Konzernen werde nämlich der Lebensstandard durch zentralistische Großtechnik keineswegs verbessert, schrieb Schumacher.  In Übereinstimmung mit Kohr forderte er die Rückkehr zu arbeitsintensiven Handwerkstraditionen, um der Arbeitslosigkeit und dem sozialen Abstieg der Massen entgegenzuwirken und um Produkte mit besserer Qualität herzustellen. Schumacher prägte den Begriff der „mittleren bzw. sanften Technologie“ und gründete 1965 einen alternativen Konzern, der sich mit der Entwicklung und Vermarktung von umweltfreundlicher Technik beschäftigte.

Diese „Intermediate Technology Development Group“ (ITDG) hat heute viele Niederlassungen – besonders in der so genannten „Dritten Welt“, wo Erzeugnisse preisgünstig, effizient, einfach herzustellen und gut handhabbar sein müssen. Schumacher schaffte es 1977 sogar ins Weiße Haus nach Washington DC. US-Präsident Jimmy Carter lud den Briten, dessen Buch sich zum internationalen Bestseller entwickelt hatte, zum Tee ein. Schumacher drückte Carter gleich eine Ausgabe von „Small is beautiful“ in die Hand, außerdem Kohrs wichtigstem Buch „The Breakdown of Nations“ und „The Overdeveloped Nations“. Dieser Besuch war Höhepunkt von Schumachers Vortragsreise durch Nordamerika; Millionen

Menschen, Etablierte, Aussteiger, Hippies und solche, die es werden wollten, hörten ihm zu. Der Prediger hatte gehofft, er könne mit seinem Buch „Small is beautiful“ weltweit ein grundlegendes Umdenken auslösen. Letztlich musste er teuer für die Strapazen bezahlen. Das gehetzte Leben ruinierte seine ohnehin angeschlagene Gesundheit. Außerdem soff er. So flog Schumacher im April 1977 nach Europa, um schon im Mai wieder in Amerika unterwegs zu sein. Freunde warnten ihn. Im Juli hielt er in Indonesien und Australien seine Vorträge. Eine australische Filmgesellschaft lud ihn ein, an einem 45 Minuten-Film über Waldzerstörung mitzuarbeiten. Wald war für Schuhmacher ein Lebensthema. So schrieb er das Drehbuch „On The Edge Of The Forest“. Eine Zeitlang hatte er auch die Regierung Burmas beraten. Er studierte und propagierte den Buddhismus: Arbeit solle nicht nur Gewinn bringen, sie müsse auch der Gemeinschaft dienen. Schumacher verherrlichte Asien. Der Westen müsse endlich erkennen, dass er mit seiner Wachstumsphilosophie einen tödlichen Fehler begehe.

 Bei der Gedenkfeier für den Staatsgründer Mahatma Gandhi war Schumacher von der Regierung Indiens zu einem Gastvortrag eingeladen worden. Um das Elend zu bekämpfen, schlug er in Delhi eine Strategie vor. Die Bürger Indiens – das waren damals 700 Millionen Männer, Frauen und Kinder – sollten pro Kopf und Jahr je einen Baum pflanzen, bewässern und pflegen. Viele verschiedene Arten von Bäumen würden dann Wohlstand bringen und die Ausbreitung der Wüsten verhindern. Die Bäume würden Schatten spenden, Wasser für die Landwirtschaft speichern und das Klima verbessern. Außerdem dienten sie als Bauholz, Brennmaterial und Rohstoff.

Tod des Freundes und Kohrs Nachruf

Am 27. August 1977 war Schumacher wieder in Großbritannien, um den Geburtstag seines Sohnes Christian zu feiern. Fünf Tage später trat er eine Vortragsreise in die Schweiz an. Einem indischen Journalisten gab er dort sein letztes Interview, bevor er am 4. September den Zug nach Zürich bestieg. Schumacher reiste allein. Und so starb er an einem Herzinfarkt. Der in einem kleinen Bahnhof herbeigerufene Arzt fand den Reisepass in der Jackentasche. Damit konnte der Tote identifiziert werden. Kohr verfasste einen Nachruf für seinen Freund. Er verglich Schumacher mit einem Retter, der an Bord eines großen Schiffes oberhalb der Niagarafälle die Menschen hilflos ihrem Ende entgegentreiben sehe. Schumacher habe klargemacht, dieser unlenkbare Kahn könne nicht mehr repariert werden. Die einzige Chance zum Überleben seien kleine Rettungsboote. Man müsse diese endlich zu Wasser lassen, um dem Absturz zu entgehen. Das Rettungsboot war für Kohr die Metapher für die von Schumacher propagierte „mittlere Technologie“. Der Tod Schumachers erschütterte Kohr. Er erinnerte sich an gemeinsame Auftritte, unter anderem am 6. Oktober 1970 in der Conway Hall von London, drei Jahre vor Erscheinen von Schumachers Bestseller „Small is beautiful“. Kohr hatte aus seinem eigenen Buch „The Breakdown of Nations“, vorgelesen. Schuhmacher führte das Publikum ein. Er wies darauf hin, dass Kohr kein Ökonom im herkömmlichen Sinn sei und auch Dinge hinter den Fassaden der so genannten Wirtschaftswisstaatsenschaft betrachte. Dadurch könne Kohr die von reiner Wachstumsideologie geblendeten Fachleute durchschauen. Er habe neben seiner Rolle als Ökonom auch die des Künstlers, Historikers und Abenteurers und sei ein Mann aus dem Volk, der es mit großen Philosophen und Herrschern aufnehmen könne. Dick aufgetragen. Manche empfanden es als Lobhudelei und Übertreibung. In der Conway Hall verwendete Schumacher den Begriff der „postmodernen Ökonomie“, als deren Begründer er Leopold Kohr ausrief.

Kohr begann seinen Vortrag mit einer Kritik des englischen Zentralismus in London, wonach dieser die kleineren Völker der britischen Inseln seit Jahrhunderten unterjoche: Waliser, Schotten, Iren … Man kann sich vorstellen, dass manche Engländer im Publikum nicht gerade begeistert waren. Andererseits brachte er sein Publikum zum Lachen und sagte Dinge, die ohne den für ihn typischen Humor für helle Empörung gesorgt hätten. Kohr hatte eine spezielle Strategie, wenn er vor Publikum reden musste, das mehrheitlich seine Meinungen nicht teilte:

„Ich versuche immer, die Leute zum Lachen zu bringen. Das funktioniert sogar in Mexiko, wo die Leute einen sehr starken Nationalstolz besitzen. Wenn ich am Anfang meines Vortrages gesagt hätte: Zerstört den Zentralstaat Mexiko! Dann hätten sie mich wahrscheinlich weggejagt. So erzählte ich positive Dinge von den vielen Volksgruppen, die in Mexiko leben. Es gibt ja auch viele Indianer dort, die bis heute unterdrückt werden. Dann kam ich auf die riesige Bürokratie, die Steuern, die ganzen Waffenkäufe der Zentralregierung zu sprechen. Daneben wurde der Lebensstandard der Armen nicht verbessert. Weil in den zentralen Apparaten niemand Interesse daran hat. Sie stimmten mir zu. Dann wagte ich ein paar harmlose Witze. Zuhörer lachten. Ich lachte. Dadurch verstanden sie mich dann auch. Zum Schluss waren viele überzeugt, die Zukunft Mexikos gehöre den Volksgruppen, den Provinzen und den einfachen Leuten, die sich nicht mehr länger von der Zentralregierung bevormunden lassen.“

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Das Buch ist im Frühling 2014 im Verlag Edition Tandem (Salzburg) erschienen.

Lehner, Gerald: Das menschliche Maß. Eine Utopie? Gespräche mit Leopold Kohr über sein Leben. Verlag Edition Tandem. Salzburg 2014. ISBN 978 – 3 – 902932 – 01 – 3

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